Ein Außerirdischer auf dem Fahrrad

Mein Besucher lebt auf einem Planeten, der gänzlich von Wald bedeckt ist und seine Kultur hat Häuser geschaffen, die sich in diese natürliche Umgebung einfügen.

In unserer Stadt sind viele Häuser aus Beton, umgeben von Straßen aus Asphalt, die wiederum mit Fahrzeugen aus Blech bevölkert sind. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass er mich fragt: „Wo ist eure Natur?“

Ich muss ihm Recht geben, die Abwesenheit der Natur ist augenfällig. Und was davon übrig ist, sind Plantagen außerhalb der Städte zur Nutzung für den Menschen.

Was ihm ebenso auffällt, ist die Hektik und das Gewusel in der Stadt, das sich durch die Straßen bewegt und die große Menge an Autoverkehr, der reichlich Lärm und Gestank produziert. „Warum erschafft ihr so viel Lärm und schlechte Luft in der Stadt, in der ihr selber lebt?“ Eine gute Frage, auf die ich keine wirklich schlaue Antwort geben kann.

Besonders die Autos haben es ihm angetan. Allerdings nicht im positivem Sinne, es ist wohl eher ein mitleidsvolles Erstaunen. Seine Kultur nutzt zwar auch Hochtechnologie, aber schafft es, sie mit der bestehenden Natur in Einklang zu bringen und nicht die Natur zu schädigen, so wie wir es tun.

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Im Auto ist nicht viel Platz

Autos sind in seinen Augen lustige Fahrkabinen, die mit primitiver Verbrennungstechnik angetrieben werden. Es wäre so, als würde man „einem Vogel mit einem Raketenantrieb das Fliegen beibringen“.

Wirkliche Bewunderung hat er für die mechanischen Fortbewegungsgeräte, die wir Fahrräder nennen. Sie sind, und das ist schwer zu übersetzen, „direkt“. Das Wort bedeutet aber auch „einfach“ oder „natürlich“. Ich finde, das ist eine passende Beschreibung für ein Gefährt, das richtig dimensioniert für die Beförderung eines Menschen und ohne nennenswerte schädliche Nebenwirkungen für Mensch und Natur nutzbar ist.

Jedenfalls hatten wir viel Spaß bei den ersten Fahrübungen mit dem Fahrrad, die uns verwunderte Blicke der anderen Menschen bescherten, denn einen Außerirdischen auf einem Fahrrad sieht man nicht alle Tage.

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Das Aufsteigen ist einfach
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Fahren klappt auch

Aliens welcome

Es ist seltsam, ein Wesen im Haus zu haben, das seine eigenen Gepflogenheiten mitbringt. Es gibt viele Rituale, morgens, abends und zum Essen auch. Töne und Gesten, die ich nicht verstehe. Ich bin noch nicht ganz dahinter gestiegen, was es bedeutet, aber es hat wohl etwas mit „begrüßen“ und „danken“ zu tun. Das ist etwas befremdlich, aber ich lasse ihn machen. Was mich mehr stört, sind die Haare im Abfluss. Aber die muss er jetzt immer selber wegmachen. Ich habe ja auch meine Prinzipien, und die wollen respektiert werden.

Sicher ist ein Alien erst einmal sehr fremd, natürlich, aber wenn man es näher kennen lernt, dann ist es interessant ihm zuzuhören, wenn es von seiner Kultur erzählt und von seinen Begegnungen mit anderen Wesen. Ich glaube, das sollten wir öfter machen, einfach mal zuhören. Das ist manchmal natürlich etwas schwierig, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht, aber mit Händen und Füßen geht es meist doch.

Der Verlust seines besten Freundes hat Spuren hinterlassen. Er trauert aber auf seine ganz spezielle Weise und ich habe den Eindruck, dass die Lösung von der Lebensschuld, die ihn lebenslang an seinem Gefährten band, für ihn auch eine neue Freiheit bedeutet und einen Neustart. Auch das hat ihn veranlasst, mich zu besuchen.

Grundsätzlich lebt er sich gut ein. Wir haben sogar schon ein gemeinsames Ritual entwickelt: Das studieren der Tageszeitung am Frühstückstisch. Das gefällt ihm. Er liest mit Interesse die Artikel und lernt, oft staunend, manchmal verwundert über die „verwirrenden“ Rituale der Menschen. Ich beantworte seine Fragen und manchmal kommen mir dann die Rituale der Menschen auch seltsam vor, ich habe nur vorher einfach nicht darüber nachgedacht. Es ist auch für mich interessant, den Blickwinkel zu verändern und selbstverständlich erscheinende Dinge zu hinterfragen. Das erstaunt jetzt mich.

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Sonntagsfrühstück mit Zeitung